Hartfüßler Trail 2020: Ultratrail-Wettkampf unter Corona-Bedingungen

Der Hartfüßler Trail führt 58 km mit rund 1500 hm über Trails, Waldwege, Halden und durch kleine Ortschaften in einer ehemaligen Steinkohlebergbauregion bei Saarbrücken. Ohne die Corona-bedingten Absagen vieler Laufveranstaltungen in Bayern und Österreich hätte ich dieses Event wohl nicht auf dem Programm gehabt. Doch die lange Anfahrt hat sich definitiv gelohnt: Top organisierter Lauf, abwechslungsreiche Strecke – und endlich wieder Wettkampffeeling!

Augsburg (km -382) bis Start (km 0): Roadtrip zum Trailrun

Am Vortag des Hartfüßler Trails machten meine Vereinskollegen Adam, Stephan und ich uns auf den langen Weg Richtung Saarbrücken. Knapp 400 km mit Baustellen und Staus lag vor uns. Doch um endlich wieder Wettkampfluft zu schnuppern und einen Ultratrail in einer besonderen, uns bis dato unbekannten Umgebung kennenzulernen, nahmen wir das gerne in Kauf.

Nachmittags hatten wir noch genügend Zeit, die Uferpromenade und die überraschend nette Innenstadt von Saarbrücken zu erkunden. Am frühen Abend holten wir unsere Startnummern ab und stießen abends bei Pizza & Pasta mit einem (vielleicht auch zwei) Gläschen Wein auf den anstehenden Ultratraillauf und Stephans Geburtstag an.

Vorfreude auf den Hartfüßler Trail 2020 bei der Startnummernausgabe am Vortag.

Für mich sollte es der erste Wettkampf seit Februar und damit „seit Corona“ werden. Und mein erster Ultratraillauf, auf den ich mich mit (hoffentlich) ausreichend vielen Kilometern und Höhenmetern im Training vorbereitet hatte. Zuvor war ich zwar bereits zweimal den Kini Trail gelaufen, beide Male jedoch aus der Off-Season und einer übermotivierten Laune heraus. Das hatte zwar meinem Spaß an den beiden Teilnahmen keinen Abbruch getan, meiner läuferischen Leistung hingegen schon.

Diesmal würde es also interessant werden: Wie teilt man sich auf einer 58 km langen Strecke mit rund 1500 hm seine Kräfte so ein, dass sie bis zum Ziel reichen und man zugleich das Beste aus sich herausholt? Diese Frage (oder lag es doch am Rotwein?) beschäftigte mich wohl unterbewusst die ganze Nacht, denn Einschlafen konnte ich bis 3 Uhr morgens nicht. Verflixt, dass um 4:30 Uhr schon wieder der Wecker ging…

Höhenprofil Hartfüßler Trail 2020
Das ursprüngliche Strecken- und Höhenprofil des Hartfüßler Trails – aufgrund von Engstellen in diesem Jahr leicht abweichend.

Start (km 0) bis VP1 (km 8,6): Einlaufen und Wachwerden

Müde, frierend und mit einer Mischung aus Respekt und Vorfreude fanden wir uns am nächsten Morgen im Startbereich des Harfüßler Trails in einem Wald vor Saarbrücken ein. Mit uns warteten rund 240 Läufer*innen auf den Start. Ab 7 Uhr sollte es in 8 Startblöcken à 30 Personen im 3-Minuten-Takt losgehen.

Die Startblöcke waren anhand geschätzter Zielzeiten eingeteilt, die man bei der Anmeldung hatte angeben müssen. Für Adam und mich als Ultratrail-Rookies war es vorab nicht einfach gewesen, unsere Leistungsfähigkeit und die Herausforderungen des Urwaldes und der Halden einzuschätzen. So hatten wir uns anhand früherer Ergebnislisten am Mittelfeld orientiert und starteten mit einer geschätzten Zielzeit von 7:15 Stunden aus Startblock D. Stephan war nicht ganz so defensiv vorgegangen und durfte bereits 3 Minuten vor uns aus Startblock C starten.

Mund-Nasen-Schutz und Abstandsregeln: Corona-regelkonforme Startaufstellung beim Hartfüßler Trail 2020.

Den Corona-Wettkampfregeln entsprechend mussten wir bis zum Übertreten der Startlinie eine Maske tragen und ausreichend Abstand wahren. Da es nach dem Start zunächst auf breiten Waldwegen überwiegend bergab ging, entzerrte sich unser Startfeld schnell und das „distancing“ erledigte sich von selbst.

Adam und ich liefen gemeinsam los und versuchten, unsere Müdigkeit abzuschütteln und ein angenehmes Tempo zu finden. Bald zweigten wir auf einen schönen Trail ab und erreichten schließlich die erste Halde des Tages. Um „Viktoria“ zu erklimmen, mussten wir steil bergauf über loses Gestein stapfen. Oben wurden wir von einer kleinen Blaskapelle überrascht, umrundeten einmal das „Gipfelkreuz“ und durften dann über einen schönen Pfad wieder hinunter in den Wald laufen.

Nach einigen Kilometern stießen wir auf Stephan, der sich entschieden hatte, es etwas ruhiger anzugehen und auf uns zu warten.

VP1 (km 8,6) bis VP2 (km 19,8): Hummeln im Hintern oder „never stop a running system“

Mit zunehmenden Tageslicht und den ersten flowigen Trails der Strecke wachten langsam auch meine Lebensgeister auf. Als wir zu dritt bei der ersten Getränke-Verpflegungsstelle ankamen, war mir plötzlich vielmehr nach Weiterlaufen als Stehenbleiben. Meine Softflasks waren auch noch prall gefüllt und so beschloss ich ganz unbedarft, schon mal „vorzulaufen“. Ich war überzeugt, dass die zwei Jungs mich spätestens beim nächsten Anstieg ein- oder überholen würden.

Plötzlich befand ich mich komplett im Flow. Die Strecke verlief überwiegend durch den Wald, über kurvige, hügelige Trails, gemixt mit breiten Forstwegen, die zum Gas geben einluden. Dennoch achtete ich immer darauf, im grünen Bereich zu bleiben und eine ruhige Herzfrequenz zu wahren. Außerdem trank ich regelmäßig kleine Schlucke aus meiner Flasche und nahm bei km 15 ein erstes Gel, um meinen Flüssigkeits- und Energiehaushalt von Anfang an im Lot zu halten.

Ich genoss den Lauf und die Waldlandschaft in vollen Zügen. Tempo, Herzfrequenz, empfundene Anstrengung, Energielevel und (ganz wichtig!) meine Gedanken fühlten sich genau in Balance an und ich hoffte, dieses Gefühl so lange wie möglich wahren zu können.

Bei der zweiten Verpflegungsstelle an der Scheune Neuhaus ließ ich meine Softflask auffüllen und trank Wasser und Iso. Die Verpflegung war sehr nett und Corona-regelkonform hergerichtet, doch irgendwie war mir nicht nach Obst, Keksen oder herzhaften Snacks. Spontan beschloss ich, es vorerst bei der „Selbstverpflegung“ zu belassen und meine Gels und Riegel portionsweise auf der Strecke zu mir zu nehmen.

Kurz nach mir kam auch Adam am VP an und vermeldete, dass er lieber etwas Tempo rausnehmen wolle. Da ich mich nach wie vor beschwingt fühlte, lief ich nach einem kurzen Plausch voller Vorfreude auf die kommenden Kilometer des Hartfüßler Trails alleine weiter.

Adam und Svenja an der VP2 beim Hartfüßler Trail 2020
Trink- und Verschnaufpause am zweiten VP des Hartfüßler Trails.
2. Verpflegungsstelle beim Hartfüßler Trail 2020
An allen VPs galt: Maske auf, Hände desinfizieren, mit Abstand essen & trinken.

VP2 (km 19,8) bis VP3 (km 30,8) bis VP4 (km 39,3): Vom Urwald auf den Mond und zurück

Die folgenden 20 Kilometer empfand ich als sehr abwechslungsreich und kurzweilig. So kurzweilig, dass rückblickend nur einzelne Highlights in meiner Erinnerung aufploppen, wenn ich an diesen Abschnitt denke.

Zum Beispiel die Durchquerung des „Urwalds“, den Saarkohlenwald, der sich seit einiger Zeit ohne menschliche Eingriffe frei entfalten darf. Hier verlief die Strecke über schmale Trails, durch dichten Wald und an kleinen Bächen entlang. Von Zeit zu Zeit galt es, den Kopf einzuziehen oder über umgestürzte Bäume zu klettern – Hindernislauf made by nature.

Als Kontrastprogramm ging es außerdem durch kleine Ortschaften, stillgelegte Bergbauanlagen und in Schleifen herum und hinauf auf die Halde Göttelborn. Vom höchsten Punkt des Hartfüßler Trails hatte man eine tolle Aussicht auf den Kohlbachweiher und die umliegenden Ortschaften und Wälder. Da ich selber keine Fotos auf der Strecke gemacht habe, hier ein Link zu einem Artikel der Saarbrücker Zeitung, dessen Titelbild die Imposanz der Halde aufzeigt.

Körperlich und mental war ich richtig gut drauf. Wenn man so lange alleine vor sich hin läuft, fängt man irgendwann an, im Kopf kleine Challenges oder Routinen zu entwickeln. Bei mir sah das so aus:
1) Den nächsten VP in unter einer Stunde erreichen
2) Am VP meine Softflask auffüllen, einen Becher Wasser und einen Becher Iso trinken
3) Auf halber Strecke zwischen den VPs etwas trinken und ein Gel oder einen Bissen Riegel essen.
So banal diese Routine auch klingen mag: Sie gab mir alle ~5 km neben dem Laufen etwas zu tun, hielt mich bei Laune und half mir, den Fokus und die Energie zu behalten.

VP4 (km 39,3) bis VP5 (km 50,1): Lydia (die Steile) und Fischbach (der Nasse)

Kurz nach der vierten Verpflegungsstelle überkam mich dennoch ein kurzer Anflug von Zweifel. Es lagen immer noch rund 20 Kilometer vor mir und ein knapper Marathon hinter mir. Ich spürte meine Oberschenkel, insbesondere bei den steileren Bergab-Passagen, mein Tempo hatte sich verlangsamt, und ich befürchtete einen Einbruch. Zum Glück brachte mich „Lydia“ bald auf andere Gedanken…

Nach der Durchquerung der Bergmannssiedlung Camphausen ging es mal wieder richtig steil hinauf. Ich war froh über die Abwechslung und begeistert von der surrealen Mondlandschaft, die mich oben auf der Halde erwartete. Als ich die Pfeile für den Weg hinunter entdeckte, war ich zunächst etwas erschrocken: Gefühlt vertikal ging es über losen Kies hinunter. Doch dann war die Schlidderpartie ziemlich unterhaltsam (wenn auch unelegant) und vertrieb alle negativen Gedanken. Außerdem ging es anschließend ein ganz Stück moderat bergab, was meine Oberschenkel (noch) ganz gut verkrafteten und ich wieder etwas Tempo aufnehmen konnte.

Bei km 48 wartete das nächste „Hartfüßler Trail Highlight“: Die berühmt-berüchtigte Fluss- aka Bachdurchquerung. Zwei Läufer vor mir übergingen sie im wahrsten Sinne des Wortes, indem sie über einen umgestürzten Baum balancierten, der in einer gewissen Höhe über den Bach ragte. Da ich meiner Konzentration und Balance nicht mehr traute und von hinten schon weitere Läufer ankamen, wählte ich den einfachen Weg: Augen zu und durch. Ich hoffte nur, dass der Bach in der Mitte nicht plötzlich tief werden würde – und hatte Glück. Die nassen Schuhe und Füße merkte ich nach einem etwas schwammigen, knatschenden Kilometer nicht mehr.

VP5 (km 50,1) bis Ziel (km 58): Eine Halde geht noch!

An der fünften und letzten Verpflegungsstelle konnte ich wieder einen Haken unter mein „Stundenspiel“ setzen. Nun blieben mir sogar noch 60 Minuten für die letzten 8 Kilometer, um unter 6 Stunden zu bleiben. Diese Zeit hätte ich mir vorher nicht erträumen lassen, wollte sie jetzt aber auf jeden Fall erreichen. Als kleine „Zusatzmotivation“ erfuhr ich am VP, dass ich auf Platz 2 der Frauen lag. In Anbetracht der zeitversetzten Startblöcke hatte ich das nicht im Blick gehabt und es war auch nicht gesagt, dass es sich „netto“ nicht noch ändern würde. Aber es spornte mich an, jetzt nicht gemütlich zu werden und nochmal alle Kraft und Motivation zusammenzunehmen.

Dass kurz darauf noch eine Halde folgte, auf die wir steil hoch und auf gleichem Wege wieder steil runterlaufen mussten, hatte ich nicht auf dem Schirm gehabt. Aber inzwischen war ich in eine „Komme was wolle“-Mentalität übergegangen, hatte einen masochistisch angehauchten Spaß am Aufstieg und verfluchte die Schmerzen in meinen Oberschenkeln beim Abstieg.

Danach ging es weiter durch den Wald und ich freute mich riesig, dass es fast nur noch bergauf ging. Während viele andere Läufer inzwischen gingen, konnte ich bergauf immer noch gut laufen. Bergab hingegen hatte ich ziemliche Schmerzen in den Oberschenkeln. Selbst bei moderatem Gefälle war mein Laufstil inzwischen wohl eher als „Staksen“ statt „Laufen“ zu bezeichnen. Doch die Wettkampf-Euphorie und die Aussicht auf das baldige Ziel trieben mich weiter an und ließen auch die letzten Kilometer vergehen. Ein letzter steiler Anstieg über Holztreppen, Zieleinlauf bergan, Lächeln – und geschafft!

Nach 5:48:06 Stunden kam ich als 2. Frau und 14. gesamt m/w ins Ziel. Dass mich nur 40 Sekunden vom 1. Platz trennten (was auf einer Distanz von 58 km quasi ein Wimpernschlag ist), fuchst mich überhaupt nicht, da ich mit meiner Zeit und der Freude, die ich auf der Strecke hatte, absolut zufrieden bin. Aufgrund der zeitversetzten Starts war uns immerhin der Stress eines Kopf-an-Kopf-Rennens erspart geblieben: Die Siegerin Rebecca Lenger war aus Block B sechs Minuten vor mir gestartet und so lernten wir uns erst im Ziel kennen.

Siegerehrung der Frauen beim Hartfüßler Trail 2020: Pamela Veith (3.), Rebecca Lenger (1.) und ich (2.) (von rechts nach links)

Belohnt wurden die jeweils drei schnellsten Frauen und Männer mit ganz besonderen, von der Bergbau-Geschichte inspirierten Pokalen – in meinem Fall einer historisch anmutenden Grubenlampe. Für alle Teilnehmer gab es zudem im Ziel eine Medaille, ein erfrischendes Getränk und eine Portion Nudeln, die im Nu vertilgt waren.

Auch Adam und Stephan konnten ihre geschätzte Zielzeit übrigens deutlich unterbieten und kamen gemeinsam nach 6:10 Stunden bzw. 6:13 Stunden ins Ziel.

Auf die Euphorie folgte nun das „Lowlight“ des ansonsten fantastischen Wochenendes: 5 Stunden Heimfahrt mit Stau und Aquaplanning durch strömenden Regen. Wer nach rund 6 Stunden Laufen schon einmal länger im Auto saß, wird verstehen, weshalb wir den Roadtrip zurück nach Augsburg verfluchten… Doch wir waren dankbar, dass der Regen uns zumindest während des Laufs verschont hatte. Und im Nachhinein wird die lange Anfahrt sowieso von den vielen schönen Erinnerungen überdeckt, die wir beim Hartfüßler Trail 2020 sammeln durften!


Hier geht’s zur Veranstalterseite des Hartfüßler Trails und zu den Ergebnissen 2020


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